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Die Religion und der Terror
(Ein Interview von Hans Baumgartner ("Die Kirche"))

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:Am 11. September verwandelten Selbstmordattentäter Verkehrsflugzeuge zu Mordwaffen. Dieses Verbrechen hat auch eine religiöse Dimension. Auch wenn die Auffassungen muslemischer Fundamentalisten nicht mit dem Islam insgesamt verwechselt werden dürfen, ergeben sich hier Fragen: Gilt derjenige als Märtyrer, der im Kampf gegen Ungläubige fällt? Seit Augustinus hat sich das Christentum deutlich von solchen Auffassungen distanziert. Eine solche klare Distanzierung fehlt im Islam.
Publiziert in:Kirche. Sonntagszeitung für die Diözese Innsbruck 42 (2001)
Datum:2001-09-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Am 11. September verwandelten Selbstmordattentäter Verkehrsflugzeuge zu Mordwaffen. Was hat Religion mit diesen Verbrechen zu tun?

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B.: Seit Monaten halten Selbstmordattentäter Israel in Atem. Nun haben sie die ganze Welt erschüttert. Wieweit sind für diesen Terror auch religiöse Motive mitverantwortlich?

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Niewiadomski: Wenn man sich diese Attentate anschaut, dann wird klar, dass viele Menschen mitgetan haben mussten, damit das „gelingt" - und zwar Menschen von einer durchaus hohen (technischen) Intelligenz -, und dass dafür eine lange Vorbereitung nötig war. Für mich ist eine derartige Anstrengung und eine solche Gruppensolidarität, dass der Plan nicht nach außen durchsickert, nur denkbar, wenn dieses Tun auch von einer „spirituellen" Haltung getragen wird. Das heißt, wenn diese Gruppe ihr Handeln nicht nur als ein Unternehmen begreift, für das man Lohn oder auch Ruhm erwartet, sondern wann man dies auch als ein religiöses Unternehmen begreift. Von da her würde ich schon sagen, dass durch diese Anschläge eine Art von Religiosität sichtbar wird, die wir bisher in unserem Denken verdrängt hatten.

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B.: Aber ist das wirklich Religiosität oder nicht vielmehr die Perversion von Religion ­ auch des Islam?

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Niewiadomski: Wir haben heute in der Welt eine Reihe von sozialen, ethnischen und politischen Konflikten, in denen religiöse Aspekte auch eine Rolle spielen. Vielfach wird das auch von den verantwortlichen Religionsführern als Missbrauch verurteilt. Anders sehe ich das im Zusammenhang mit dem Islam ­ auch wenn man immer wieder hört, das hätte nichts mit dem Islam als Religion zu tun. Meiner Meinung nach lebt der Islam als Großreligion heute in einem doppelten Konflikt. Zum einen leben zahlreiche islamische Staaten ­ und durch die enge Verknüpfung von Glaube und Politik in diesen Ländern auch der Islam als Religion ­ in einem Konflikt mit dem Westen. Dieser Konflikt ist vorwiegend wirtschaftlich, politisch und kulturell motiviert. Der Islam lebt aber auch ­ und das wird bei uns kaum beachtet ­ im Konflikt mit sich selbst, wenn es darum geht, was gehört zur authentischen islamischen Tradition. Und so gibt es bis heute die Tradition eines doppeldeutigen Martyriums. Das heißt, Menschen, die als Selbstmordattentäter im Kampf gegen die Ungläubigen sterben, gelten als Märtyrer und kommen direkt in den Himmel. Aus dieser Tradition, die in manchen Gruppen von Kindesbeinen an vermittelt wird, schöpfen Hisbollah oder Osama Bin Laden ihre zerstörerische Kraft. Natürlich ist dieser Glaube nicht der Inbegriff des Islam, aber er gehört dazu.

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Einen ähnlichen Konflikt gab es im Christentum Anfang des 5. Jahrhunderts. Es war die Auseinandersetzung des hl. Augustinus mit den Donatisten. Das waren die damaligen religiösen Terroristen, die gesagt haben, wenn wir verfolgt werden und sterben, dann sind wir Heilige ­ und von da her auch bewusst den Tod im Kampf gegen Ungläubige gesucht haben. Denen trat Augustinus mit aller Entschiedenheit gegenüber: Nicht das Getötetwerden macht den Märtyrer aus, sondern die Gesinnung, sein Einstehen für den Glauben an einen liebenden Gott ­ auch um den Preis des Lebens. Seit dieser Zeit gibt es im Christentum eine theologische Ächtung des religiösen Selbstmordes, die sich bis in die Gegenwart durchzieht. Jegliche Todes_ und Opfersehnsucht bei einem potentiellen Märtyrer ­ etwa bei den Verfolgten der Nazis ­ gilt als Infragestellung des Martyriums. Genau diese Auseinandersetzung ist im Islam nicht entschieden. Und das hat der Westen bis heute nicht wahrhaben wollen: Er hat Selbstmordattentäter als skurrile Fanatiker betrachtet, aber übersehen, dass die Lehre vom Selbstmordmartyrium eine enorme spirituelle Kraft für Kleingruppen sein kann. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, dem der moderne demokratische Staat mit seinen Gewaltmitteln nicht beikommen kann, denn der Täter nimmt die schlimmste denkbare Strafe, den Tod, schon vorweg.

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B.: Zivilisation der Liebe Wie kann die demokratische Welt auf diese Bedrohung dann überhaupt antworten?

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Niewiadomski: Natürlich muss die demokratische Welt auf den religiösen Terror auch politisch antworten. Eindrücklich möchte ich aber davor warnen, diese Auseinandersetzung als „Kampf zwischen Gut und Böse", der alle Mitteln rechtfertigt, zu führen. Denn dann begibt sich der Westen in Gefahr, unter umgekehrten Vorzeichen einen quasireligiösen Kampf zu führen, was die Terroristen und ihre Mitläufer in ihrem „Glauben" nur bestätigt. Ich denke, dass wir in der Antwort auf diese Anschläge tiefer gehen müssen. Wir brauchen eine kritische ethische Hinterfragung der „Selbstgerechtigkeit" unseres wirtschaftlichen und politischen Systems. Und wir müssen uns ernsthaft fragen, welche Kräfte unser Sein und Handeln wirklich bestimmen, nachdem die Religion im öffentlichen Leben und in unserer Erlebnisgesellschaft zu einem Privathobby degradiert wurde. In der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ist es zu wenig, unser Wohlstands-Erfolgsrezept zu verkaufen. Diese Katastrophe fordert uns meines Erachtens zu einer Rückbesinnung auf die positiven Kräfte der Religion geradezu heraus. Gewaltminderung, Gewaltverzicht, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Achtung vor dem Leben ­ diese Grundwerte unserer Zivilisation bauen letztlich auf dem Glauben an einen liebenden Gott. Wenn es stimmt, dass diese Terroranschläge sich gegen die westliche Zivilisation richten, dann kann die eigentliche Antwort darauf nur darin liegen, diese Zivilisation als eine „Kultur der Liebe" zu vertiefen und sie als Antithese zu Hass und Gewalt auch erfahrbar zu machen.

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