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Prof. Dr. Werner Löser SJ
(Herausforderungen, Begegnungen, Weichenstellungen)

Autor:Löscher Werner
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2004-04-14

Inhalt

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Im hinter uns liegenden Jahrhundert hat sich die katholische Theologie tiefgreifend erneuert. Dies war notwendig geworden, weil die Wege der neuscholastischen Theologie, deren Anfänge im 16. Jahrhundert lagen, unübersehbar an ihre Grenzen gelangt waren. Die Weichen wurden schließlich neu gestellt, vor allem durch die Impulse, die mit dem Namen Maurice Blondel und seinen Werken „Action“ (1893) und „Lettre“ (1896) verbunden sind. Es gibt einen Satz in „Lettre“, in dem seine Einsicht besonders prägnant zur Sprache kommt. Er lautet: „Die Immanenzmethode betrachtet das Übernatürliche … als für den Menschen unerlässlich wie zugleich unerreichbar“ („La méthode d́immanence considère le surnaturel … comme indispensable en même temps qúinaccessible à ĺhomme“). (1) Pierre Rousselot und Joseph Maréchal sind die beiden markantesten Denker, die den so geworfenen Ball als erste aufgriffen. Und dann kam das Spiel in Fahrt – im französischen und im deutschen Raum. Die beiden im deutschen Sprachraum bedeutendsten katholischen Theologen, die sich auf die so neu gebahnten Pfade begaben, waren ohne Zweifel Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar. In eindrucksvoll kreativer Weise sollten sie dann die Möglichkeiten ausschöpfen, die sich ihnen boten. Beiden war nicht nur eine exzellente intellektuelle Begabung geschenkt, beide durften sich auch eines langen Lebens und einer großen Schaffenskraft erfreuen. So haben beide auf ihre Weise ein außergewöhnlich umfangreiches theologisches Lebenswerk hinterlassen. In vielem sind sie einander verwandt, in anderem unterscheiden sie sich. Auf jeden Fall verkörpern sie innerhalb eines perspektivisch gemeinsamen Horizonts zwei alternative, vielleicht auch komplementäre Gesamtkonzepte katholischer Theologie. Auch wenn sich diese Konzepte aus dem Nachvollzug ihrer jeweils internen Logik verstehen lassen, können die einen oder anderen biographischen Hinweise zu ihrer Erfassung ergänzend hilfreich sein. Dabei soll im Folgenden lediglich die Zeit, in der ihr Denken die spezifische Prägung erhalten hat, näher angeschaut werden, also die Jahre bis etwa 1940. In einem ersten Teil wird der Rahmen abgeschritten, der die Biographien der beiden strukturiert. In einem zweiten Teil geht es um die inhaltlichen Prägungen ihres Denkens, sofern sie in der genannten Zeit erfolgten. In einem dritten Teil wird stichwortartig auf einige Felder verwiesen, auf denen die frühen Prägungen später zur Auswirkung kamen.

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I) Der biographische Rahmen

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Die Geburtstage der beiden Theologen liegen 16 Monate auseinander. Der eine, Karl Rahner, betrat die Bühne der Welt am 5. März 1904, der andere, Hans Urs von Balthasar, am 12. August 1905. Die Gegenden, in denen sie ihre Kindheit und Jugend verbrachten, liegen ebenfalls nicht weit auseinander: Freiburg im Breisgau hier, Luzern am Vierwaldstätter See dort. Was man über die familiären Hintergründe und über die frühen Jahre der beiden wissen kann, ist einerseits in Karl Heinz Neufelds Buch „Die Brüder Rahner“ (2) und andererseits in Elio Guerrieros Buch „Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie“ (3) dargestellt. Der eine beendete die Gymnasialzeit 1922 und trat dann sogleich ins Noviziat der Gesellschaft Jesu ein, das er in Feldkirch absolvierte. Der andere schloß die Gymnasialjahre 1923 ab und immatrikulierte sich sogleich an der Universität Zürich, wo er ein Studium der Germanistik und der Philosophie aufnahm. Einige Außensemester verbrachte er in Berlin und in Wien, bevor er im Oktober 1928 in Zürich das Doktorexamen in Philosophie und Germanistik ablegte. Der Titel der Dissertation lautete: „Geschichte des eschatologischen Problems in der modernen deutschen Literatur“ (4) . Dann entschied sich von Balthasar, Jesuit zu werden. Er trat am 31. Oktober 1929 ins Noviziat der Gesellschaft Jesu in Feldkirch ein. Fortan war von Balthasar nicht nur wie Karl Rahner ein Schüler des Ignatius von Loyola, sondern er gehörte auch derselben Ordensprovinz wie dieser an: der Oberdeutschen Jesuitenprovinz. Beide haben das Noviziat unter der Leitung desselben Novizenmeister gemacht: P. Otto Danneffel. Rahner hat wenigstens eines seiner philosophischen Studienjahre in Pullach bei München verbracht – das Jahr 1926/27; von Balthasar war nach dem Noviziat zwei Jahre in Pullach – in den Jahren 1931-1932. Doch besagt all dies nicht, daß Rahner und von Balthasar sich persönlich kennengelernt haben müssten. Wer die damaligen Gepflogenheiten innerhalb einer Jesuitenprovinz kennt, weiß, daß der zeitliche Abstand von sieben Jahren zwischen den Eintrittsterminen der beiden dazu führte, daß sie sich nicht oft begegneten. Dies war umso mehr der Fall, als sie ihre Theologie an verschiedenen Orten studierten: Rahner 1929 bis 1933 in Valkenburg (Holland), von Balthasar 1932 bis 1936 in Lyon-Fourvière. Beide empfingen in München Sankt Michael die Priesterweihe: Rahner im Juli 1932, von Balthasar im Juli 1936. Beide haben ihre ordensinterne Ausbildung mit dem Tertiat abgeschlossen: Rahner gleich nach den Valkenburger Jahren, also 1933 bis 1934 in Sankt Andrä in Kärnten, von Balthasar 1939 noch einmal in Pullach. Von Balthasar hatte eine philosophisch-germani-stische Zusatzqualifikation schon aus der Zeit vor seinem Ordenseintritt mitgebracht, sodaß er nach den Theologiestudien in Lyon sogleich in eine erste Arbeit einsteigen konnte: er wurde für etwa zwei Jahre Mitglied der Redaktion der „Stimmen der Zeit“ – 1937 bis 1939. Rahner dagegen ging nach seinem Tertiat nach Freiburg, um dort ein philosophisches Promotions-studium zu absolvieren. Die Frucht dieser Jahre sind vor allem „Geist in Welt“ (5) und „Hörer des Wortes“ (6) . Von 1936 an dozierte Rahner dann in Innsbruck die Dogmatik, bevor er 1939 nach Wien übersiedeln musste, wo er eine Arbeit im Wiener Seelsorge-Institut übernahm. Von Balthasar siedelte 1940 nach Basel über, wo er die Aufgabe eines Studentenseelsorgers wurde.

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Man wird davon ausgehen können, daß Rahner und von Balthasar sich in den 30-er Jahren nicht häufig von Angesicht zu Angesicht begegnet sind. Die gemeinsamen Tage auf dem Zenzenhof bei Innsbruck – im Sommer 1939 – können als eine Ausnahme gelten. (7) Aber in der zweiten Hälfte der 30-er Jahre haben sich die beiden jungen Jesuiten über die inzwischen geringer gewordene räumliche Distanz hinweg - Rahner in Innsbruck, von Balthasar in München - in wachsendem Maße wechselseitig beachtet und wohl auch geachtet, - was nicht bedeutet, daß sie nicht auch die Unterschiedlichkeit ihrer Begabungen und Ausrichtungen wahrgenommen hätten.

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II) Philosophisch-theologische Prägungen

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Sowohl Karl Rahner als auch Hans Urs von Balthasar betraten in den Jahren ihrer Studien die Wege, auf denen sie dann - im wesentlichen – auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten weitergehen sollten. Beide waren dabei - auf je ihre Weise – aufs höchste daran interessiert, das theologische Konzept im Dialog mit einer ihm korrespondierenden, zeitgenössischen Philosophie zu entfalten. Doch entstanden aus diesem Anliegen nicht alle Dimensionen, die später sowohl Rahners als auch von Balthasars Denken prägen sollten. Zu dem Interesse an der zeitgenössischen Philosophie trat ihre Hinwendung zur Theologie der Kirchenväter hinzu.

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a) Rahner und von Balthasar als Patristiker

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Wie man weiß, haben sich die Theologen, die sich in der Nachfolge Blondels und anderer um eine neue Gestalt katholischer Theologie bemüht haben, auch aufs eindringlichste mit dem theologischen Denken der Kirchenväter befasst. Es war ihr Ziel, hinter die Gestalt von Theologie zurückzugreifen, die sich vorwiegend als Rezeption und Reflexion scholastischer Einsichten entfaltet hatte. Man bezeichnete ihr Bemühen bisweilen als „nouvelle théologie“, woraufhin ihre Vertreter so zu antworten pflegten, daß sie darauf bestanden, daß das Neue dieser Theologie die Verlebendigung der alten Theologie sei, konkret: der Theologie des ersten Jahrtausends. Beide, Rahner und von Balthasar, haben sich in den 30-er Jahren ausgiebig mit der Vätertheologie auseinandergesetzt und sich dabei ein theologisches Denken verinnerlicht, das einer universalistisch gerichteten Eschatologie verpflichtet war, das sich aus einer geistlichen Auslegung der Bibel speiste, das auf ein sakramentales Verständnis der Kirche und ihrer Vollzüge zielte, - um nur einige Züge solchen Denkens zu nennen. Einige Gesprächspartner, die Karl Rahner im Blick auf sein patristisches Bemühen begleiteten, können namhaft gemacht werden: sein Bruder Hugo Rahner, dann aber auch sein Mitbruder Alois Lieske. Für von Balthasar war es in Lyon vor allem Henri de Lubac, der die Welt der Kirchenväter erschloß, dann aber auch Jean Daniélou und andere.

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Karl Rahner hat sich während seiner theologischen Studien ausgiebig mit Schriften der Kirchenväter befasst. Karl Heinz Neufeld kann von einer Lektüreliste aus den Jahren 1929/30 (8) berichten, die zeigt, daß Rahner damals schwerpunktmäßig die Theologen des zweiten Jahrhunderts studiert hat. Dazu kam dann bald die Beschäftigung mit der altkirchlichen Bußtheologie. Die aus den Quellen geschöpfte Kenntnis der Kirchenväter-theologie wurde schon in den 30- Jahren fruchtbar in zwei Werken, die bis heute aller Beachtung wert sind – zum einen die 1936 in Innsbruck eingereichte theologische Disserta-tion über die Kirche „e latere Christi – Der Ursprung der Kirche als zweiter Eva aus der Seite Christi des zweiten Adam“ (9) , zum anderen die Übertragung und gründliche Bearbeitung des Werkes von Maurice Viller SJ „La spiritualité des premiers siècles chrétiens“, das nun unter den Namen Viller und Rahner läuft und im deutschen den Titel „Aszese und Mystik in der Väterzeit“ trägt. (10) Beide Werke zeugen davon, daß Rahner die Theologie der Kirchenväter bestens kannte und hoch schätzte. Das zweite der genannten Werk wurde von von Balthasar in einer Besprechung in den „Stimmen der Zeit“ (11) gewürdigt und nachdrücklich gelobt und empfohlen, - ein Hinweis darauf, daß beide einander in ihrer Wertschätzung der Patristik nahe waren.

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Von Balthasar hat, wie man weiß, in seinen Studienjahren in Lyon – wie auch in späteren Jahren - ebenfalls intensiv patristisch gearbeitet. (12) Entsprechende Studien geben davon Zeugnis. Sie beziehen sich auf Augustinus, auf Origenes, auf Johannes von Skythopolis, auf Gregor von Nyssa und vor allem auf Maximus den Bekenner. Einige Titel seien wenigstens genannt: „Kosmische Liturgie“ (zu Maximus) (13) , „Présence et pensée“ (zu Gregor von Nyssa) (14) , „Parole et mystère chez Origène“ (zu Origenes) (15) . Rahner hat von Balthasars patristische Arbeiten über Maximus in einer Besprechung seinerseits über alles gelobt. Er spricht von „einer bisher unerreichten Weise der Fruchtbarmachung des ungehobenen patristischen Gedankengutes für unsere Zeit“. (16)

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Halten wir fest: sowohl Karl Rahner als auch Hans Urs von Balthasar, der eine in Valkenburg und dann Innsbruck, der andere in Lyon und dann München, haben in der Zeit ihrer Vorbereitung auf ihre späteren Einsätze intensiv patrologisch gearbeitet und sind sie mit viel beachteten patristischen Werken hervorgetreten. Daß sie dies taten, gehörte damals für die wacheren Geister unter den jungen katholischen Theologen zu dem Programm einer Erneuerung der katholischen Theologie. Eine genauere Analyse ihrer patristischen Opera würde nun erkennbar werden lassen, daß sowohl Rahners als auch von Balthasars Interpreta-tionsansätze auch schon von unterschiedlich akzentuierten Basisoptionen bestimmt sind. Auch diese wurden in ihren frühen Jahren im Rahmen ihres vieldimensionalen Studierens und Reflektierens angeeignet, sodaß sie dann ihr Denken tiefgreifend bestimmten. Was dies bedeutet, soll im Folgenden dargestellt werden.

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b) Rahner und von Balthasar als neuzeitliche Denker

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Beide, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar, waren von der Absicht bestimmt, ihren Beitrag zu einer Renaissance der katholischen Theologie aus dem Dialog mit dem zeitge-nössischen Denken zu gestalten. Darin waren die beiden Ordensbrüder aus der Oberdeutschen Jesuitenprovinz einig, so sehr sich auch ansonsten in vielem unterschieden – zum Beispiel dann auch darin, wie sie die gemeinsame Ziele verfolgten. Im Rückblick auf die Zeit der Prägungen hat von Balthasar 1976 in einem Interview mit Michael Albus (17) die Unterschiedlichkeit der Zugänge, seines eigenen und Rahners, so und wohl auch zutreffend gekennzeichnet: „Ich halte Karl Rahner, aufs Ganze gesehen, für die stärkste theologische Potenz unserer Zeit. Und es ist evident, daß er mir an spekulativer Kraft weit überlegen ist. Wir haben im Jahr 1939 einträchtig zusammen einen Dogmatikplan ausgearbeitet (über Innsbruck, am Zenzenhof), aus dem dann später >Mysterium Salutis< geworden ist. Aber unsere Ausgangspositionen waren eigentlich immer verschieden. Es gibt ein Buch von Georg Simmel, das heißt >Kant und Goethe< (Leipzig 1916). Rahner hat Kant oder, wenn Sie wollen, Fichte gewählt, den transzendentalen Ansatz. Und ich habe Goethe gewählt – als Germanist. Die Gestalt, die unauflöslich einmalige, organische, sich entwickelnde Gestalt – ich denke an Goethes >Metamorphose der Pflanzen< -, diese Gestalt, mit der Kant auch in seiner Ästhetik nicht wirklich zu Rande kommt…“ Dieser Hinweis von Balthasars ist erhellend. Rahner entfaltet sein Denken auf der Grundlage der „transzendentalen Methode“, von Balthasar auf der Grundlage der „phänomenologischen Methode“. „Transzendentale Methode“ bedeutet von Kant her: das zu Erkennende wird als Antwort auf die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der geistigen Vollzüge des Menschen erschlossen. „Phänomenologische Methode“ bedeutet – etwa von Husserl her: das zu Erkennende wird als Gestalt wahrgenommen. Eine Gestalt aber ist eine Ganzheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Es ist ihr eine innere Stimmigkeit, Richtigkeit, Nezessität eigen. Rahner hat sich zu seinem Zugang zur Philosophie und zur Theologie nicht zuletzt durch die Impulse bewegen lassen, die von Joseph Maréchals „Le point de départ de la métaphysique“ (1926) ausgingen. Von Balthasar dagegen war das Erfassen von Gestalten, also sein phänomenologisches Vorgehen, aus seiner künstlerischen Erfahrung völlig vertraut. Der Germanist war in literarischen Geschichten lesbaren Gestalten, der Pianist, der von Balthasar bekanntlich mit Begeisterung gewesen ist, war in musikalischen Werken hörbaren Gestalten begegnet.

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Den unterschiedlichen Zugängen zu den philosophischen und theologischen Erkennt-nisgegenständen - dem transzendentalen und dem phänomenologischen – entsprechen ganze Metaphysiken, - wie ein Blick auf Rahners und von Balthasars Werke sogleich bestätigt. Sehr gedrängt gesagt, waltet eine innere Verwandtschaft zwischen der transzendentalen Methode und der Metaphysik, die das Sein als Bei-sich-Sein, also als Geist, als Bewusstsein denkt. Und es waltet eine innere Verwandtschaft ebenso zwischen der phänomenologischen Methode und der Metaphysik, die das Sein als Ereignis der Begegnung, also im Sinn der Dialogizität denkt. Was dies im Konkreten für eine Philosophie der Erkenntnis bedeutet, hat Karl Rahner in bewundernswerter Weise in seinem Werk „Geist in Welt“ (1939) vorgeführt. Und Hans Urs von Balthasar hat dasselbe Thema, ebenfalls in bewundernswerter Weise, in seinem Werk „Wahrheit der Welt“ (1947) (18) entfaltet. Als von Balthasar Rahners „Geist in Welt“ besprach (19) , fragte er – kritisch und konstruktiv zugleich – an, ob nicht Rahners Erkenntnismetaphysik dahingehend fortentwickelt werden könnte, ja müsste, daß die in ihr angelegte Objektmetaphysik sich zu einer Metaphysik der Intersubjektivität erweiterte. Die entscheidenden Sätze lauten: „…die horchende Verweisung des Geistes in die Welt hinein ließe vielleicht Wege offen, selbst >auf dem Boden der imaginatio< eine objektive Transzendenz zu entdecken; das Problem der >Intersubjektivität<…könnte weiterführen, und die Ausschließlichkeit einer Kommunikation entweder im Nichts (der Mensch) oder in Gott (der Engel) aufheben…“. Wenn „transzendentale Methode“ bedeutet: Erfassung des zu Erkennenden über die Frage nach dem in allen Akten des menschlichen Geistes als seine Möglichkeitsbedingung Enthaltenen, dann ist darin ein Verständnis von Sein enthalten, das im Menschen als „Geist in Welt“ hervortritt. Er ist Bewusstsein nur im Ausgang zu den Dingen der Welt, den „phantasmata“, und in der Rückkehr von ihnen zu sich sowie im Vorgriff auf den absoluten Horizont des Seins. Und wenn „phänomenologische Methode“ bedeutet: Erfassung des zu Erkennenden in der Wahrnehmung begegnender Gestalten, dann ist darin ebenso ein entsprechendes Verständnis von Sein enthalten: es ereignet sich in dem Aufeinandertreffen des Unterschiedenen: Sein in und als Begegnung. Es sei nur eben angemerkt, daß sich eine derartige Metaphysik der Intersubjektivität zu einer Metaphysik der Liebe fortentfalten kann, wenn die Gehalte der christlichen Theologie auf das in ihnen verborgen zugrundliegende Seinsverständnis befragt werden. (20)

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Für Karl Rahner waren und blieben die Freiburger Jahre -1934 bis 1936 – vor allem die Zeit, in der er sein Werk „Geist in Welt“ erarbeitet hat. Gewöhnlich überschätzt man die prägende Bedeutung, die das Hören von Vorlesungen Martin Heideggers für Rahner hatte. Von sehr großer und nachhaltiger Bedeutung waren aber dann die ersten Innsbrucker Jahre, die sich an die Freiburger Jahre anschlossen. Damals galt es, sich für die dogmatischen Lehrveranstaltungen in den Traktat „De gratia“ einzuarbeiten. Er ging von der entsprechenden Vorlage seines Valkenburger Lehrers P. Hermann Lange sj aus, aber durchdachte das Sachproblem, das mit einer zu erneuernden Gnadentheologie gestellt war, grundlegend. In diesem Zusammenhang ergab sich für Karl Rahner die sein weiteres theologisches Wirken grundlegend bestimmende Einsicht, daß der Horizont des Seins, auf den hin der Mensch ausgreift, wenn er geistige Vollzüge setzt, in Wahrheit das absolute Geheimnis, das „schwei-gende Geheimnis“ ist, das wir sonst Gott nennen, und daß dieses Geheimnis uns gnädig zugewandt ist. Als solches gibt es sich zu erfahren. Im Ereignis solcher Erfahrung kommt es zu einer Einigung zwischen dem gnädigen Gott und dem gerechtfertigten Menschen, die geeigneterweise mittels der in der scholastischen Philosophie entwickelten Begriffe von forma und materia beschrieben wird, wobei der forma, also dem sich gnädig dem Menschen zuneigenden Gott selbst, eine „quasi-formale Ursächlichkeit“ zukommt. (21) Man kann diese überaus folgenreiche Einsicht Rahners als den Kern und die Grundlage seiner ganzen Theologie bezeichnen. Sie ist wesentlich eine Theorie christlicher Mystik, in der die Gestalt und der Gehalt der natürlichen Mystik, wie sie in der Religionsphilosophie, in die hinein sich die abendländische Geistphilosophie ihrer inneren Logik gemäß entfaltet, fortgesetzt und vertieft wird. Daß Karl Rahner beim Durchdenken der Gnadentheologie die geschilderte Einsicht zufiel, ist ohne Zweifel auch dadurch ermöglicht worden, daß er gleichzeitig an dem Werk „Aszese und Mystik in der Väterzeit“ arbeitete und dabei erkannte, welche Dimensionen die christliche Erfahrung der Gnade hat. Es ging ihm auf, daß die altkirchlichen Lehrer des geistlichen Lebens eben die Darstellung der Gnadenerfahrung im Sinn hatten, wenn sie auf die Kategorien der in der (neu-)platonischen Religionsphilosophie reflektierten Mystik zurückgriffen. Von solcher christlicher Mystik und solcher Erfahrung der Gnade sprechen im übrigen dann auch die Gebete, die Karl Rahner 1937 zum ersten Mal unter der Überschrift „Worte ins Schweigen“ (22) veröffentlicht hat.

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Was sich somit über Karl Rahners Denken, wie es sich in den 30-er Jahren ausformte, ergeben hat, lässt sich so zusammenfassen: Rahners Denken lebt von den großen und tragenden Einsichten der abendländischen Philosophie, die als Identitäts- und idealistische Philosophie das Sein als Geist und Bei-sich-Sein dachte. Er hat dieses Denken aber vertieft und erweitert, als er sich zum einen den Impulsen anvertraute, die ihm in der Beschäftigung mit der patristischen Lehre vom geistlichen Leben zuwuchsen, und zum anderen den christlichen Begriff der Gnade erörterte, wobei der entscheidende Schritt in die Theologie hinein da erfolgte, wo es galt, das heilige, schweigende Geheimnis als das sich gnädig dem Menschen zuneigende Geheimnis Gottes zu bedenken und zu besprechen. Was immer Karl Rahner im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte theologisch erörtert hat, bleibt stets auf die skizzierten Ureinsichten hin durchsichtig und rückbezogen.

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Hans Urs von Balthasar hatte bereits sein germanistisch-philosophisches Studium als Doktor der Philosophie abgeschlossen, als er Jesuit wurde und noch einmal eine Reihe von Studienjahren - in Pullach und in Lyon – zu absolvieren hatte. Diese Jahre waren für ihn in keiner Weise dadurch begrenzt, daß er die in den damals üblichen philosophischen und theologischen Kursen angebotenen Stoffe gelernt hätte. Nein, er hatte in seinen vorherigen Studien das Denken der Neuzeit kennengelernt und sich in vielem innerlich angeeignet. Es waren ihm Einsichten geschenkt worden, die er in sein schöpferisches Durchdenken der philosophischen und theologischen Tradition einfließen ließ, - was sehr folgenreich war; denn aus den denkerischen Optionen, die sich dabei ergaben, hat sich im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte das große theologische Werk entfaltet, für dessen Erarbeitung von Balthasar noch ein halbes Jahrhundert lang Zeit haben sollte.

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Aus dem Vielen, das nun hier zur Konkretisierung des Angedeuteten herangezogen werden könnte und müsste, soll nur Eines genauer angeschaut werden. Es ist gleichzeitig besonders wichtig, ja einfachhin grundlegend: gemeint ist von Balthasars Auseinandersetzung mit dem Denken Friedrich Nietzsches. Als von Balthasar in seinem germanistisch-philosophischen Studium das neuzeitliche Denken auf die dem Menschen angemessenen Letzthaltungen angesichts seiner letzten Bestimmungen hin untersuchte, zeigte sich ihm die herausragende Bedeutung Nietzsches, dessen Lebensentwurf die Züge des Dionysischen trägt. Von Balthasar nahm die Herausforderung auf, die Nietzsches Denken für ihn bedeuten sollte: die Auseinandersetzung damit – in vielem Zustimmung, in anderem Ablehnung – bildet die Mitte der Doktorarbeit „Geschichte des eschatologischen Problems in der modernen deutschen Literatur“ (1928) (23) . Dasselbe gilt für das Riesenwerk „Apokalypse der deutschen Seele“, das eine Weiterführung der Doktorarbeit ist und in der zweiten Hälfte der 30-er Jahre entstand. (24) Schließlich kommt es zum Zuge in den drei „Anthologien“ „Vom vornehmen Menschen“, „Vergeblichkeit“ und „Von Gut und Böse“, die von Balthasar Anfang der 40-er Jahre aus Nietzsche-Texten zusammengestellt und mit Nachworten versehen hat. Dazu kommen noch ungezählte beiläufige Erwähnungen Nietzsches in anderen Werken, schon in den 30-er Jahren, dann aber auch in allen folgenden Jahrzehnten. Johannes Gesthuisen SJ hat in seiner römischen Dissertation „Das Nietzsche-Bild Hans Urs von Balthasars“ (25) gezeigt, wie von Balthasar die Anliegen Nietzsches gedeutet hat und daß er sich in vielem durch das, was ihm dabei aufging, hat prägen lassen.

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Denken im Zeichen des Dionysos-Mythos, das heißt: Ja zum Leben, Ja zur Erde. Von Balthasar hat zu diesem doppelten Ja seinerseits ein klares Ja gesagt. Es war ihm bei Nietzsche wichtig, daß er die Weltlichkeit der Welt bejahte. „Sie, die Welt, muß begriffen und >erlöst< werden, und alles Letzte muß sich innerhalb ihrer vier Wände selber abspielen können“. (26) Von Balthasar anerkennt, daß Nietzsche einen Sinn für den „unverrückbaren Endgültigkeitsanspruch der realen endlichen Welt“ (27) hat. Seine Untersuchungen über von Balthasars Nietzsche-Bild zusammenfassend hat Gesthuisen festgehalten, daß Nietzsche von Balthasar „zur Einsicht in den Wert der Endlichkeit“ verholfen hat. „Gegenüber der idealistischen Annäherung des Endlichen an das Absolute spricht er – Nietzsche – ein ausdrückliches und unbedingtes Ja zur konkreten und unverkürzten Welt….“ (28) Daß von Balthasar schon in seiner Doktorarbeit, dann aber noch mehr in der „Apokalypse der deutschen Seele“ und schließlich in einer Reihe von Aufsätzen auch andere neuzeitliche Dichter und Denker auf ihre existentiellen Letzthaltungen hin abgehört hat, kann hier unberücksichtigt bleiben. Es genügt die Feststellung, daß sie immer auch auf ihre Nähe oder Ferne zu Nietzsche und seinem Dionysosmythos hin befragt werden. In diesem Sinn trifft zu, daß Nietzsche für von Balthasar derjenige war, von dem er sich mehr als von allen anderen hat herausfordern und anregen lassen. Nietzsches Vorbehalte dem platonischen Welt- und Menschenbild gegenüber waren nun nicht das einzige Thema, das von Balthasar in den Blick genommen hat, - wie ein Blick in die genannten Werke sogleich zeigt. Aber sie durchziehen doch all sein Denken, und von Balthasars Rezeption dieser platonismus-kritischen Motive im Denken Nietzsches ist besonders bemerkenswert und folgenreich. Deswegen soll sie hier noch weiter betrachtet werden.

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Von Balthasar war glücklich, während seiner Pullacher Jahre ins Gespräch mit Erich Przywara gekommen zu sein. Przywara beeindruckte von Balthasar nicht nur durch seine umfassende Bildung, er war ihm vor allem darum wichtig, weil er für ein philosophisches Konzept stand, in dem die Positivität des Endlichen sachgerecht gedacht werden konnte. Von Balthasar erlebte dies als eine große Befreiung und Ermutigung. Das Konzept, um das es hier geht und dem von Balthasar seine Pullacher Lizentiatsarbeit widmete, kreist um das Motiv der Analogia entis. Man kann gar nicht genug herausstellen, daß von Balthasar bis an sein Lebensende darum bemüht war, ein philosophisches und theologisches Denken im Sinne der Analogia entis – Lehre zu entfalten, - was dadurch nicht unrichtig, sondern eher noch bestätigt wird, daß sich ihm die Analogia entis mehr und mehr zur Analogia libertatis weitete und bestimmte. Gemäß der Analogia entis Lehre kommt allem Endlichen das Sein nur in analoger Weise zu. Aber dies bedeutet nicht seine Entwertung, sondern seine Einsetzung in seine eigene Wertigkeit. Es sei noch hinzugefügt, daß es von Balthasar immer wichtig war, daß der Lehre von der Analogie des Seins auch eine eigene Metaphysik des endlichen Seins zugehört: gemeint ist die Lehre von der Realdistinktion von Esse und Essentia. Für von Balthasar bedeutete die ihm durch Erich Przywara vermittelte Lehre von der Analogie des Seins die entscheidende innere Überwindung des platonischen Idealismus inmitten der philosophia und theologia perennis.

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Als von Balthasar, angeregt durch Henri de Lubac und gemeinsam mit weiteren Jesuitenbrüdern in Lyon, die Theologie der Kirchenväter studierte, war ihm das hermeneu-tische Interpretationskriterium die Analogia-entis-Lehre. Entsprach ein Kirchenvater mit seinen Werken diesem Kriterium, dann ging dies in eine zustimmende Wertung ein. Ein klares Beispiel dafür ist das Denken des Irenäus. War im Denken eines Kirchenvaters das platonische Schema von Abstieg und Aufstieg beherrschend, so führte dies bei von Balthasar zu einer tendentiell ablehnenden Wertung. Ein Beispiel dafür ist das Denken des Origenes, das freilich nicht darin aufgeht, platonische Schemata zu repräsentieren.

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Von Balthasars eingehende Beschäftigung mit der Theologie der Kirchenväter ließ in ihm die Auffassung wachsen, daß sich das platonisierende Denken inmitten der christlichen Theologie, zumal der geistlichen Theologie, in der Prägezeit der ersten christlichen Jahrhunderte allzu stark ausgewirkt habe. Und eben dies sei der christlichen Theologie nicht gut bekommen und habe schließlich zu den nicht unberechtigten Verdächtigungen geführt, deren radikalster Vertreter neuzeitlich Friedrich Nietzsche gewesen ist. Daß die frühe christliche Theologie das Gespräch vor allem mit der (neu-)platonischen Philosophie geführt habe und nicht mit den griechischen Tragikern (Sophokles, Aischylos, Euripides), habe ihr Entfaltungsmöglichkeiten eigener Art versperrt. 1965 hat von Balthasar einmal formuliert, „daß der entscheidende Dialog zwischen Antike und Christentum nicht so sehr der jahrtausendelang geführte zwischen Platon und der patristisch-scholastischen Theologie sei, als vielmehr der zwischen den Tragikern und den christlichen Heiligen um den Sinn der menschlichen Existenz“. (29) Von Balthasars eigenes Denken war immer durch und durch von der Absicht bestimmt, ein philosophisches und theologisches Konzept vorzutragen, das der Positivität der endlichen Welt und des Menschen darin gerecht wird.

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Rahner und von Balthasar, beide waren von der Absicht getragen, sich an der Neugestaltung des christlichen Denkens in Philosophie und Theologie zu beteiligen. Der eine stand stärker in der Tradition der Schulphilosophie und – theologie, gab ihr aber starke neue Konturen dadurch, daß er sie, angeregt durch Kant und Fichte, zu einer Transzendental-philosophie bzw. – theologie umprägte. Damit blieb er innerhalb des großen Stromes des abendländischen Denkens, das im wesentlichen immer ein Denken unter der Prämisse, Sein und Geist seien identisch, gewesen war. Der andere stand der Tradition der Schulphilosophie und – theologie von Anfang an kritischer gegenüber. Angeregt durch Goethe und Nietzsche (und andere) bildete er ein philosophisches und theologisches Konzept aus, das das Sein als Ereignis der Begegnung meinte und platonismus-kritisch auf der Positivität alles Endlichen bestand. Rahner und von Balthasar standen also schon früh für unterschiedliche Stile katholi-schen Denkens. Zum selben Jesuitenorden, ja zur selben Ordensprovinz gehörend, auch denselben Zielen verpflichtet und noch Altersgenossen dazu, gingen sie in dem, was sie dann erkannten und vortrugen, doch getrennte Wege. Und das sollte bis zu ihrem Lebensende so bleiben. Und wenn das Gespräch, das Rahner und von Balthasar im Sommer 1939 über den Entwurf einer neuen katholischen Dogmatik geführt haben, schließlich doch nicht zum Aus-gangspunkt einer entsprechenden Kooperation geworden ist, so hat dies mehr in den schon damals empfundenen geistigen Distanzen seinen Grund als in äußeren und widrigen Umständen. (30)

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III) Die Entfaltungen der Ansätze

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Beide, Rahner und von Balthasar, haben sich, wie man leicht nachvollziehen kann, im Laufe der späteren Jahre auf den Bahnen fortbewegt, die sie in den frühen Jahren betreten hatten. Beide werden weiter auf dem Gebiet der Patristik arbeiten, Rahner vor allem im Bereich der Geschichte der Bußtheologie, von Balthasar vorwiegend als Übersetzer und Deuter theologi-scher Werke aus der Kirchenväterzeit. Beide werden daran interessiert bleiben, eine Theologie zu entfalten, die dem geistlichen Leben der heutigen Christen dient. Beide werden sich dessen bewusst bleiben, daß einer ordentlichen katholischen Theologie eine gut begrün-dete Philosophie entspricht. Beide durften – in unterschiedlicher Weise – erleben, daß ihre Theologie auf kirchliches Interesse stieß, beispielsweise auf dem II. Vatikanischen Konzil oder in seinem Umfeld. Beide beobachteten einander aufmerksam, wie ich noch aus eigenem Erleben berichten kann. Wenn ich P. Rahner traf, fragte er mich: „Was macht denn der Balz? Du hast ja mit ihm Kontakt, Du weißt es sicherlich.“ Umgekehrt konnte es geschehen, daß bei Besuchen bei von Balthasar auf P. Rahner die Rede kam, wobei sich zeigte, daß der Baseler sehr wohl wahrnahm, was der Münchener/ Münsteraner/ Innsbrucker machte. Wenn man von dem bedauerlichen Zwischenspiel, das unter dem Stichwort „Cordula oder der Ernstfall“ (31) bekannt geblieben ist und zu dessen Deutung noch manches zu sagen wäre, absieht, fallen die Worte, die beide übereinander öffentlich gesprochen haben, durch ihre wechselseitige Freundlichkeit auf. Dabei denke ich an den Gruß, den von Balthasar am 29. Februar 1964 zum 60. Geburtstag Karl Rahners in der Beilage zur „Neuen Züricher Zeitung“ veröffentlicht hat. Und ebenso denke ich an den Gruß, den Karl Rahner zu von Balthasars 60. Geburtstag geschrieben hat. (32)

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Nur stichwortartig und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit seien nun noch einige Felder benannt, auf denen Rahner und von Balthasar theologisch gearbeitet haben, wobei der Vergleich ihrer jeweiligen Positionen bestätigt, daß beide ihren philosophisch-theologischen Grundoptionen verbunden geblieben sind.

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a) Die Gnadentheologie war der Bereich gewesen, in dem die Anstöße, die von Blondel, Rousselot, Maréchal ausgegangen waren, von beiden am frühesten aufgegriffen worden waren. Rahner hat wie von Balthasar eine Überwindung des früheren extrinse-zistischen Modells für unabdingbar gehalten. Rahner hat dann die Lehre vom übernatürlichen Existential ausgearbeitet, während von Balthasar sich stärker an die Motive anlehnte, die Henri de Lubac entwickelt hatte; gemeint ist seine Lehre von der natürlichen Ausrichtung des Menschen auf die Begegnung mit dem gnädigen Gott, die sich in der Heilsgeschichte ereignen sollte. Ein überaus klares Beispiel für von Balthasars Konzept findet sich in seinem Aufsatz „Wer ist der Mensch?“ (33) Bei Rahner kann man etwa auf den Aufsatz „Über das Verhältnis von Natur und Gnade“ verweisen. (34)

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 b) Ein zweiter Bereich ist die Trinitätstheologie, in der Rahner immer besorgt war, daß ein vulgärer Tritheismus vermieden würde. Deswegen hat er sich schließlich dafür ausgesprochen, auf den Personbegriff zur Kennzeichnung der göttlichen Hypostasen zu verzichten. Stattdessen solle man besser von den „drei distinkten Subsistenzweisen“ sprechen, in denen der eine Gott auf den Menschen gnädig zutrete. (35) Von Balthasar hat dagegen die Anwendbarkeit des Personbegriffs auf den dreifaltigen Gott stets verteidigt und gleichzeitig die Perichorese der göttlichen Personen zur Sprache gebracht. (36) Auch er will nicht tritheistisch denken, aber hat die Einsicht etwa Richards von St. Viktor aufgegriffen und festgehalten, daß es in Gott, der er nicht nur zur Welt, sondern auch in sich Liebe ist, eine wahre Vielfalt von Personen gibt, die freilich auf göttliche Weise geeint sind.

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c) Ein dritter Bereich ist die Christologie, in der es ja immer auch um eine rechte Deutung der chalkedonischen Lehrentscheidungen, also um das Verständnis der „hypostatischen Union“ zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in der einen Person Jesus von Nazareth geht. Rahner bleibt bei dem Verständnis, das in Chalkedon selbst gemeint gewesen ist, und das er selbst den „strengen Chalkedonismus“ nennt. Demgegenüber könnte man bei von Balthasar von einem „neuchalkedonischen Konzept“ sprechen, das seine lehramtliche Verankerung in den Entscheidungen von Konstantinopel II (553) hat. Die Kennformel des Neuchalkedonismus lautet: „Unus ex sanctissima trinitate passus est“ (vgl. DH 432). Der strenge Chalkedonismus hält demgegenüber daran fest, daß der Gottmensch Jesus von Nazareth nur in seiner Menschheit „gelitten hat“. Karl Rahner hat sich mit den hier angeschnittenen Fragen ausdrücklich und nachdrücklich befasst in seinem Aufsatz „Jesus Christus – Sinn des Lebens“. (37) Dabei hat er von Balthasars Auffassung entschieden abgelehnt. Von Balthasar hat umgekehrt seine Sicht der hypostatischen Union mehrfach verteidigt und begründet. Wichtig sind hier einmal sein Aufsatz „Der sich für mich dahingegeben hat“(Gal 2,20) (38) , sodann die „Vorbemerkung“ zu „Theodramatik IV“. (39) Die argumentative Entfaltung seiner Auffassung kann beispielsweise in „Theologik II“ (40) nachgelesen werden. Es ist klar, daß die Entscheidung, ob die streng-chalkedonische oder die neu-chalkedonische Deutung der hypostatischen Union die biblischen Vorgaben richtiger aufnimmt, außerordentlich folgenreich für die gesamte Christologie und zumal für die Soteriologie ist. Im Hintergrund stehen wiederum die unterschiedlichen Trinitätstheologien.

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d) Ein viertes Feld, auf dem beide, Rahner und von Balthasar, sehr engagiert waren, ist die Theologie des geistlichen Lebens mit zahlreichen Unterthemen. Gerade hier würde besonders deutlich hervortreten, daß P. Rahner in den Bahnen einer christlichen Mystik denkt. Von Balthasar wäre demgegenüber vorwiegend daran interessiert, das Motiv der Berufung zur Sendung in die Welt hinein zu thematisieren. Es wäre aufschlussreich, die unterschiedlichen Akzentsetzungen etwa im Bereich ihrer Beiträge zur Laienspiritualität zu überprüfen. Beide, Rahner und von Balthasar, waren, wie oben schon erwähnt, Söhne des Ignatius von Loyola und haben ihre jeweilige Sicht der ignatianischen Spiritualität dargelegt. Besonders wichtig sind hier zum einen Rahners Aufsatz „Die Ignatianische Logik der existentiellen Erkenntnis (41) , zum anderen von Balthasars Aufsatz „Exerzitien und Theologie“. (42) Dabei ist es auffallend, daß für Rahner der Schlüsseltext für die Deutung der Exerzitien in den Bemerkungen des Ignatius zur sogenannten „zweiten Wahlzeit“ vorliegt, während für von Balthasar das Motiv „Gottes Wahl wählen“, das etwa in der Betrachtung über Christus den König zum Zuge kommt, alles bestimmt. In von Balthasars Aufsätzen zur Theologie des geistlichen Lebens findet sich im übrigen stets eine Erinnerung an die (neu-)platonisch ausgerichteten Wege der Aufstiegs des Menschen zum jenseitigen Geheimnis mit dem Ziel, sie als ungenügend und unbefriedigend zu bewerten. Hier wirkt sich in besonders deutlicher Weise der platonismus-kritische Zug des Denkens von Balthasars aus.

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Der Blick auf die vier exemplarisch herausgegriffenen Felder des theologischen Arbeiten hat zweifelsfrei ergeben, daß Rahner und von Balthasar sich treu geblieben sind: was sie im Laufe ihres Lebens erarbeitet und vertreten haben, lässt sich jeweils als Entfaltung der in ihrer Frühzeit erkannten und ergriffenen Positionen identifizieren. Wir Heutigen haben es also damit zu tun, daß es in dem hinter uns liegenden Jahrhundert im deutschen Sprachraum zwei katholische Theologen von herausragendem Format und erstaunlicher Strahlkraft gegeben hat. Sie berührten sich in vielem und gleichzeitig verwirklichten sie unterschiedliche Konzepte katholischer Theologie, und sie taten dies in breitester und gleichzeitig innerlich geordnetster Weise. Wer heute Theologie treibt, wird sich auch die Frage stellen müssen, auf welche Seite er sich mit welchen Gründen stellen sollte. In mein eigenes Denken und Empfinden sind im Laufe der Jahre, in denen ich mich mit dem Werk beider befasse, mehr Anregungen aus von Balthasars Überzeugungen eingegangen als aus dem Auffassungen Rahners. Warum sich dies so ergeben hat, bedürfte einer sorgfältigeren Darstellung und Begründung, als sie hier gegeben werden können. So empfiehlt es sich, die Betrachtung der Frühzeit der beiden Gestalten der Theologie mit dem Dank dafür zu beschließen, daß es sie gegeben hat, ja daß Gott sie seiner Kirche geschenkt hat.

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Anmerkungen:

33
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1. Lettre sur les exigences de la pensée contemporaine en matière d́apologétique..., in : Les premières écrits de Maurice Blondel, vol.2, Paris 1956, hier : 42 f

34
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2. Freiburg: Herderverlag 1994

35
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3. Einsiedeln: Johannesverlag 1993; eine Menge an biographischen Informationen finden sich auch bei Manfred Lochbrunner, Hans Urs von Balthasar als Autor, Herausgeber und Verleger, Würzburg: Echter 2002

36
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4. in zweiter Auflage erschienen in Freiburg: Johannesverlag 1998

37
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5. jetzt als Bd. 2 der Sämtlichen Werke, Freiburg: Herder 1996

38
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6. jetzt als Bd. 4 der Sämtlichen Werke, ebd. 1997

39
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7. Genaueres darüber sowohl bei Neufeld (a.a.O.) als auch bei Lochbrunner (a.a.O.)

40
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8. a.a.O. 98 f

41
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9. jetzt erstmals allgemein zugänglich in „Spiritualität und Theologie der Kirchenväter“ = Sämtliche Werke, Bd. 3, 1999, 1-84

42
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10. jetzt erneut zugänglich in Sämtliche Werke Bd. 3, a.a.O. 123-390

43
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11. 136,1939, 334

44
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12. Vor 30 Jahren habe ich die Kirchenväterstudien von Balthasars zusammenfassend dargestellt: W. L., Im Geiste des Origenes (Frankfurter Theol. Studien 23) , Frankfurt: Knecht 1976

45
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13. 2., stark veränderte Auflage, Einsiedeln: Johannesverlag 1961

46
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14. Paris: Beauchesne 1942

47
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15. Paris: de Cerf 1957

48
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16. in: ZkTh 66, 1942, 153-156, hier 155

49
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17. in: Herderkorrespondenz 30, 1976, 75/76

50
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18. jetzt zugänglich als Theologik Bd. I: Wahrheit der Welt, Einsiedeln: Johannesverlag 1985

51
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19. in: ZkTh 63, 1939,371-379

52
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20. vgl. dazu W. Löser, Das Sein – ausgelegt als Liebe. Überlegungen zur Theologie Hans Urs von Balthasars, in: Intern. Kath. Zeitschrift Communio 4, 1975, 410-424

53
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21. so in dem Aufsatz „Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade“, in: ZkTh 63, 1939, 137-157; aufgenommen in Schriften zur Theologie Bd. 1, Einsiedeln: Benziger 1964, 347-376

54
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22. erneut veröffentlicht in K. Rahner/Hugo Rahner, Worte ins Schweigen/Gebete der Einkehr (Herder TB 437), Freiburg: Herderverlag 1972, 11-76

55
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23. a.a.O. (vgl. Anm. 4)

56
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24. erneut in drei Bänden erschienen im Johannesverlag 1998

57
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25. Rom 1986

58
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26. Apokalypse Bd. II, a.a.O. 6

59
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27. ebd. 11

60
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28. a.a.O. 170

61
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29. Rechenschaft, Einsiedeln: Johannesverlag 1965, 24

62
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30. vgl. dazu M. Lochbrunner, Hans Urs von Balthasars Trilogie der Liebe, in: Forum katholische Theologie 11, 1995, 161-181, bes. 161-168

63
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31. Einsiedeln: Johannesverlag 1967

64
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32. in: Civitas 20, 1964/65, 601-604

65
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33. in: Pneuma und Institution (= Skizzen zur Theologie 4), Einsiedeln: Johannesverlag 1974, 13-25)

66
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34. in: Schriften zur Theologie Bd. I, a.a.O. 3323-245

67
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35. in: Mysterium salutis Bd. II, 385-393

68
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36. so z.B. in Theologik Bd. II, 1985, 117-138

69
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37. in: Schriften zur Theologie Bd. XV, 1983, 206-216, bes. 210 f

70
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38. in: Geist und Leben 53, 1980, 416-419

71
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39. Theodramatik Bd. IV, Einsiedeln: Johannesverlag 1983,11 f.

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40. a.a.O. 117-119

73
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41. in Friedrich Wulf (hrsg.), Ignatius von Loyola. Seine geistliche Gestalt und sein Vermächtnis, Würzburg: Echter 1956, 343-405

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42. in: Orientierung 12, 1948, 229-232

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